Was Marathoni wissen müssen – Interview mit Robert Mücke
Ratgeber: Sport & Regeneration
Welche Ernährung ist ideal für einen Marathon? Wie schütze ich mich vor dem Open-Window-Effekt? Und warum sind Athletiktraining und Rumpfstabilisation eigentlich so wichtig – und so verhasst? Robert Mücke, Sportcoach und selbst mehrfacher Marathon- und Ironman-Finisher, kennt die Antwort auf all diese Fragen. Im Vorfeld des BMW Berlin-Marathon stellt er sich uns zum Interview.
Wie ernährt man sich am besten direkt vor dem Marathon?
Die richtige Ernährung muss schon drei bis vier Tage vor dem Event einsetzen, damit man seine Speicher füllen kann. Viel trinken ist wichtig, also 3-4 Liter am Tag, und gut trinken, also keine Limo oder so, sondern Mineralstoffhaltige Getränke. Limo enthält viel zu viele kurzkettige Zucker, die meine Speicher für die mittel- und langkettigen Zucker blockieren, die ich eigentlich für den Lauf brauche.
Du meinst also Mineralwasser?
Ein gutes Mineralwasser aus einer mineralstoffhaltigen Quelle ist ideal! Oft wird aber Tafelwasser mit Mineralwasser verwechselt. Tafelwasser ist aber nur Leitungswasser mit Kohlensäure und die Qualität variiert je nach Ort der Abfüllung. Auch Alkoholfreie Biere eignen sich gut.
Soviel zum Trinken. Was ist mit der Ernährung vor einem Lauf?
Es gilt für alle Trainingsphasen, dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung dazu gehört. Wer sich gesund ernährt braucht auch keine Nahrungsergänzungsmittel – davon ist der Markt ja auch voll. Die sind aber eigentlich überflüssig, wenn ich nicht aus irgendwelchen Gründen an Mangelerscheinungen leide, die nicht über die normale Nahrungszufuhr ausgeglichen werden können.
Was ist mit "Carbo-Loading"?
Am Tag vor dem Rennen füllt man seine Kohlehydrat-Speicher. Das „Carbo-Loading“ beginnt für viele am Abend vor dem Lauf bei der Pasta-Party. Ich empfehle meinen Athleten aber immer, lieber schon früher am Tag damit anzufangen, gerne am frühen Nachmittag. Ein voller Magen schläft nicht so leicht, das will ich vermeiden.
Außerdem hat der Körper so auch genug Zeit, die Nahrung zu verwerten und das Volumen vor dem Rennen wieder los zu werden. Ob man übrigens Nudeln, Reis oder Kartoffeln ist, ist völlig egal. Hauptsache Kohlenhydrate.
Soviel zur Vorbereitung. Wie ernährt man sich am Tag des Laufes?
Die letzte Mahlzeit (meist ein kleines Frühstück) sollte zwei, drei Stunden vor dem Lauf eingenommen werden. Der Körper muss Gelegenheit haben, es ein Stück weit zu verarbeiten, damit es während des Laufs nicht zu Übelkeit und Erbrechen kommt. Das sieht man viel zu oft.
Im Idealfall ist es eine kleine Mahlzeit ohne Ballaststoffe und Eiweiß, dafür mit leicht verfügbarer Energie. Beispielsweise: Weißbrot mit Honig, Nougatcreme oder Marmelade.
Mit so wenig im Bauch ist der Hunger auf der Strecke vorhersehbar. Was tun?
Für die Verpflegung auf der Strecke muss ich wissen: Was wird vom Veranstalter angeboten? Sich von Freunden am Straßenrand etwas geben lassen, ist bei Großveranstaltungen nicht wirklich praktikabel, da sind zu viele Menschen. Also, wenn es etwas gibt, dass ich dringend brauche und das vom Veranstalter nicht geboten wird, muss ich halt schauen, dass ich es selber mitnehme. Am meisten Sinn machen Energie-Gels, das sollte einfach jeder im Training mal probieren. Die muss ich nicht kauen und sie sind gut zu transportieren. Für das Gel und alles andere gilt: Kleine Portionen, immer ein bisschen was, gerne verteilt über einen längeren Zeitraum. Also nicht erst warten, bis die Speicher leer sind –konstant nachfüllen.
Aber nach dem Lauf kann ich dann so richtig reinhauen, oder?
Die wichtige Frage ist: Was verträgt mein Körper wann? Direkt nach dem Lauf ist der Energiebedarf des Körpers extrem hoch, weil durch die Belastung viele Strukturen im Körper im Reparaturzustand sind; vor allem die muskuläre Regeneration und der Ausgleich des Flüssigkeitshaushalts sind hier zu nennen. Jetzt gilt also, genau wie während des Laufes: Kleine Portionen, stetige Zufuhr. Die verlorene Flüssigkeit wieder aufzunehmen ist extrem wichtig. Im nächsten Schritt können die Kohlenhydratspeicher wieder gefüllt werden. Und so ein, zwei Stunden nach dem Lauf macht es auch wieder Sinn, Eiweiß zu sich zu nehmen um dem Körper beim Wiederaufbau der Muskeln zu helfen.
Nach dem Lauf warten Muskelkater und Open-Window-Effekt. Wie schütze ich mich davor?
Um dem Open-Window-Effekt vorzubeugen, muss ich meinen Körper vor dem Auskühlen schützen; also rein in trockene Sachen, dazu kann gerne auch einen Mütze gehören. Der Körper ist in der Situation extrem geschwächt, also darf man ihn auch extrem gut behandeln. Die Energiedepots müssen über die Nahrung wieder gefüllt werden. Unterschätzen sollte man in keinem Fall, wie das Immunsystem unter einer extremen Ausdauerbelastung leidet und die Infektionsgefahr ansteigt! Also: Krankheitserreger meiden – und z.B. nach der Fahrt in der U-Bahn gut die Hände waschen.
Muskelkater, der durch Mikrotraumen, also kleine Verletzungen des Muskelgewebes, entsteht, muss heilen. Dies kann ich beschleunigen, beispielsweise durch die Enzymtherapie oder durch eine allgemeine Anregung des Stoffwechsels. Den Stoffwechsel kann ich mit heiß-kalten Duschen anregen oder durch entschlackende Lymphdrainagen unterstützen , aber auch durch leichte Bewegung. Generell ist lockere Aktivierung, also beispielsweise einfaches Gehen, am Tag nach dem Marathon sehr zu empfehlen.
Der beste Schutz bleibt gutes Training. Dazu gehören auch Athletiktraining und Rumpfstabilisation. Warum ist das so wichtig – und warum bei den meisten so verhasst?
(Lacht) Die meisten Menschen laufen, weil es extrem einfach ist. Laufen ist natürlich, dass kann jeder, dafür braucht es kein umfangreiches Technik-Training. Rumpfstabilisation – und auch das Lauf-ABC, das gehört eigentlich zusammen – sind aber genau das.
Es gibt so einen Spruch: Wer vorwärtskommen will, darf nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Das gilt fürs Laufen erst Recht, die Flugphase, in der kein Fuß am Boden ist, ist die entscheidende. Die braucht aber auch Kraft – sowohl beim Abstoßen vom Boden, als auch beim Landen. Und diese Kraft kommt nicht nur aus den Beinen, sondern ganz entscheiden auch aus dem Rumpf. Mit gezielter Kräftigung der Rumpfmuskulatur verbessere ich also meine Leistung und minimiere die Verletzungsgefahr.
Aber klar, Rumpfstabilisation ist meist die Schwachstelle bei Läufern und deshalb fällt das Training erheblich schwerer als ein schöner Lauf durch den Wald. Gleichzeitig beugt man allerdings auch typischen Zivilisationserkrankungen wie z.B. Haltungsschäden und Rückenschmerzen hervorragend vor.
Ähnlich verhält es sich mit dem Lauf-ABC. Während die Rumpfstabilisation den Körper während der Flug- und Landephase „in Position“ hält, schult man beim Lauf-ABC die Laufmotorik und die Kraft, damit eine Vorwärts-Bewegung, anstelle einer hoch-tief-Bewegung entsteht. Läufer sollen ja laufen und nicht hüpfen.
Kurz gesagt: Rumpftsabilisation und Lauf-ABC sollten zum Training jedes Läufers dazugehören!
Viele Läufer haben Angst vor dem „Mann mit dem Hammer“, dem plötzlichen Erschöpfungszustand, der ein ganzes Rennen kippen kann. Hast du selbst ihn schon mal getroffen?
Oh ja, allerdings, beim Marathon in New York. Die letzten Kilometer durch den Central Park sind sehr wellig, davor hatte ich schon lange vor dem Lauf Angst. Und tatsächlich stand der Mann mit dem Hammer dann direkt am Eingang und hat mich voll erwischt. Das war aber letzten Endes eine Kopfsache, da kannst du nichts machen. Ich war zu dem Zeitpunkt prima im Training, das war auch wirklich nicht mein erster Marathon. Aber ich habe mich einfach verrückt machen lassen, hatte Angst vor dieser Strecke und das war es dann. Ich bin bis zum Ende gelaufen, aber meine Geschwindigkeit über die letzten fünf Kilometer war erbärmlich.
Hast du das als Niederlage empfunden?
Nein, es hat mich nicht länger belastet – die Zeiten, in denen ich so ambitioniert Marathon gelaufen bin, waren da schon vorbei. Aber es hat mich tierisch geärgert, dass ich mich so verrückt gemacht habe. Im Ernst: Der Mann mit dem Hammer wird total hochstilisiert, das ist ein Schreckgespenst. Wenn man gut vorbereitet ist, entsprechend seinem Trainingsstand läuft und sich ordentlich verpflegt, dann kann einem eigentlich nichts passieren.
Vielen Dank für das Gespräch!